Nachdem man in der Vorsaison in den Meisterschaftsendspielen dem TuS 04 Leverkusen nur knapp unterlegen gewesen und der Kader mit dem Hinzukommen von Anthony Koski (aus den USA), Robert Minor (von der Frankfurter Eintracht), Jochen Decker (kehrte vom USC München an die Lahn zurück) und Jungtalent Ulrich Strack (eigene Jugend) noch stärker geworden war - mit Ron Davis hatte im Sommer lediglich ein Leistungsträger das Team verlassen -, starteten die von "Didi" Kienast trainierten Gießener mit großen Erwartungen in die Saison 1972/1973. Besonders von dem über zwei Meter großen Blondschopf "Toni" Koski versprach man sich
im Lager der heimischen Basketballer viel.
Was die Männerturner dann in den 14 Meisterschaftspielen der Bundesliga-Südgruppe zeigten, stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten. Mit 14 Siegen und einem Korbverhältnis von + 367 wurde die siebte Südmeisterschaft an die Lahn geholt. Lediglich zweimal, beim 88:82-Heimsieg gegen Bamberg und beim 77:71-Auswärtssieg in Heidelberg, gewann die MTV-Truppe "nur" mit einem einstelligen Punktevorsprung, ansonsten jagte ein Kantersieg den nächsten. Besonders der in dieser Höhe sehr überraschende 108:68-Heimsieg gegen den Meisterschaftsmitfavoriten USC Heidelberg (die bis dato höchste Niederlage der Heidelberger gegen eine deutsche Mannschaft) sorgte in Basketball-Deutschland für Aufsehen - nach Spielschluss hallten minutenlang MTV-Sprechchöre durch die mit 2.000 Zuschauern gefüllte Osthalle, während sich die Spieler des Gießener Teams jubelnd in den
Armen lagen.
Bei seinem sechsten Auftritt im Europapokal traf der MTV 1846 in der ersten Runde des Pokalsieger-Wettbewerbes auf den isländischen Vertreter KR Reykjavik, gegen den man keinerlei Probleme hatte und mit 127:56 und 102:51 gewann. In der zweiten Runde stellte sich dann der Spitzenklub Jugoplastika Split in der Osthalle vor. Beim 99:84-Erfolg der Gäste mussten die Gießener vor allem die physische Überlegenheit ihres Gegners anerkennen. Im Rückspiel verkaufte der MTV seine Haut teuer. Ohne Nationalspieler "Karli" Ampt, der wegen seiner Abneigung gegen das Fliegen zu Hause geblieben war, setzte der MTV die jugoslawische Spitzenmannschaft in eigener Halle gewaltig unter Druck und ging - angeführt von Koski (32 Punkte) und Nationalspieler Peters (22 Punkte) - in der zweiten Halbzeit mit 52:51, 54:53 und 64:63 in Front. Die Jugoslawen mussten in den letzten Minuten schon voll hinlangen, um einen knappen 92:82-Sieg zu erkämpfen. Am Abreisetag sorgte "Dschang" Jungnickel für einen Brüller, als er nach einer Wette vollständig bekleidet in die Adria hechtete. Aber auch etwas Wehmut zog in jenen Tagen im Lager der MTVler ein. "Pollo" Urmitzer erklärte rund ein Jahr nach seinem schweren Autounfall seinen Rücktritt vom aktiven Basketballsport - für sechs Spiele war er in der Saison 72/73 noch einmal
auf das Feld zurückgekehrt.
In der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft kassierten die Gießener beim 81:87 in Heidelberg die erste Saisonniederlage auf nationaler Ebene. Dennoch zog man als Gruppenerster in das Halbfinale ein, in dem man dem 1. FC Bamberg nicht den Hauch einer Chance ließ - auswärts gewann der MTV mit 87:56, zu Hause ebenso deutlich
mit 107:82.
Der MTV stand erneut in den DM-Endspielen. Gegner der Männerturner war der alte Süd-Rivale aus Heidelberg, der im zweiten Halbfinale überraschend den dreifachen Titelträger TuS 04 Leverkusen ausgeschaltet hatte. Leider waren die Gießener vom Verletzungspech heimgesucht worden, in Karl Ampt (Armfraktur), Hans Heß (Fußfraktur) und Ulrich Strack (Meningitis) fehlten drei wertvolle Spieler. Aus diesem Grund zog der vor Saisonbeginn zurückgetretene Bernd Röder noch einmal die
Basketballschuhe an.
Nach zwei hochdramatisch verlaufenen Endspielen sollte jedoch nicht zum Gewinn der vierten Meisterschaft reichen. Nach einem 70:70 im Hinspiel in der mit 4.200 Zuschauern total überfüllten Osthalle war nach den 40 Minuten in Heidelberg ebenfalls ein Unentschieden zu verzeichnen (65:65). In der Verlängerung ging der MTV, bei dem nun sechs Spieler mit fünf Fouls auf der Bank saßen, mit 68:66 in Führung (43.), doch in den letzten Sekunden warfen die Gastgeber den 71:70-Sieg heraus, der in der Addition beider Spiele die Deutsche Meisterschaft für die Heidelberger
bedeutete.
Mit dem Gewinn des Deutschen Pokals durften sich die Gießener wenige Wochen später trösten. In Hagen setzte man sich gegen den MTV Wolfenbüttel mit 90:86 durch und feierte nach 1969 den zweiten Erfolg in diesem Wettbewerb.
(Text teilweise entnommen aus dem Buch "Die MTV-Story" von G. Raschke)
Bundesliga / Gruppe Süd (acht Teams, die besten Vier erreichten die Endrunde; Heimspielort: Sporthalle Ost):
USC Mainz - MTV 1846 Gießen 77:97 (34:49)
MTV 1846 Gießen - SV Möhringen 116: 62 (57:28), Zuschauer: 500
MTV 1846 Gießen - 1. FC Bamberg 88:82 (57:18), Zuschauer: 2.000
Bayern München - MTV 1846 Gießen 71:84 (38:43)
MTV 1846 Gießen - USC Heidelberg 108:68 (55:34), Zuschauer: 2.000
TSV Nördlingen - MTV 1846 Gießen 66:112 (26:57)
MTV 1846 Gießen - USC München 91:72 (41:37), Zuschauer: 2.500
MTV 1846 Gießen - USC Mainz 114:63 (59:26), Zuschauer: 1.000
SV Möhringen - MTV 1846 Gießen 62:92 (31:53)
1. FC Bamberg - MTV 1846 Gießen 87:97 (39:56)
MTV 1846 Gießen - Bayern München 86:72 (52:32), Zuschauer: 900
USC Heidelberg - MTV 1846 Gießen 71:77 (30:38)
MTV 1846 Gießen - TSV Nördlingen 118:67 (55:31), Zuschauer: 450
USC München - MTV 1846 Gießen 75:89 (45:47)
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Abschlusstabelle:
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1 MTV 1846 Gießen 28:0 Punkte + 367 Körbe
2 USC München 20:8 Punkte + 88 Körbe
3 USC Heidelberg 18:10 Punkte + 79 Körbe
4 1. FC Bamberg 16:12 Punkte + 41 Körbe
5 FC Bayern München 12:16 Punkte - 46 Körbe
6 USC Mainz 8:20 Punkte - 110 Körbe
7 SV Möhringen 5:23 Punkte - 115 Körbe
8 TSV Nördlingen 5:23 Punkte - 295 Körbe
Endrunde / Gruppe 1 (4 Mannschaften; je 2 aus Nord und Süd; die besten Zwei erreichten das Halbfinale):
MTV Wolfenbüttel - MTV 1846 Gießen 65:73
(34:36)
USC Heidelberg - MTV 1846 Gießen 87:81 (43:44)
MTV 1846 Gießen - VfL Osnabrück 104:73 (56:35)
VfL Osnabrück - MTV 1846 Gießen 78:86 (42:52)
MTV 1846 Gießen - USC Heidelberg 104:85 (47:43)
MTV 1846 Gießen - MTV Wolfenbüttel 90:61 (32:26)
Endstand: 1. Gießen
10:2, 2. Heidelberg 10:2
Halbfinale (Hin- und Rückspiel):
1. FC Bamberg - MTV 1846 Gießen
56:87 (30:35), Zuschauer: 2.000
MTV 1846 Gießen - 1. FC Bamberg 107:82 (51:47), Zuschauer: 2.000
Finale (Hin- und Rückspiel):
MTV
1846 Gießen - USC Heidelberg 70:70 (32:36), Zuschauer: 3.500
USC Heidelberg - MTV 1846 Gießen 71:70 nach Verl. (65:65/37:28), Zuschauer: 2.000
Deutscher Meister 1972/1973:
USC Heidelberg
Europapokal der Pokalsieger:
1.
Runde:
MTV 1846 Gießen - KR Reykjavik 127:56 (64:27), Zuschauer: 1.000
KR Reykjavik - MTV 1846 Gießen 51:102 (27:51), Zuschauer: 800 (Spiel fand auch in Gießen statt)
2. Runde:
MTV 1846 Gießen - Jugoplastika Split 84:99 (38:47), Zuschauer: 2.500
Jugoplastika Split - MTV 1846 Gießen 92:82 (45:42), Zuschauer: 2.000
Deutscher Pokalwettbewerb:
Finale (in Hagen):
MTV Wolfenbüttel - MTV 1846 Gießen 86:90 (39:42), Zuschauer: 1.500
Deutscher Pokalsieger 1972/1973:
MTV 1846 Gießen