Zu Beginn der Saison 1968/1969
vermisste man in der Gießener Mannschaft ein gut bekanntes Gesicht.
Klaus Jungnickel hatte den 3-fachen Deutschen Meister in Richtung Frankfurt verlassen, wo er als Spielertrainer von Grün-Weiß fungierte. Eine Entscheidung, die bei den Gießener Fans überhaupt nicht gut ankam. Als die Frankfurter am 5. Bundesliga-Spieltag in der überfüllten Gießener Doppelturnhalle gastierten, wurde jede Aktion von Jungnickel mit einem gellenden Pfeiffkonzert
bedacht. Der MTV gewann die Partie mit 85:71.
Auch "Lu" Jackson war nach seinem einjährigen Gastspiel in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt. Mit dem Brettspieler William "Bill" Provinse wurde für ihn ein guter Ersatz gefunden. Außerdem waren die beiden
Youngster
Hans Heß
und Dieter Strack in den Erstligakader aufgerückt.
Vor dem Saisonstart hatte der MTV einige Testspiele gegen renommierte europäische Mannschaften arrangieren können. Gegen Spartak Brünn gab es einen 67:61-Erfolg, dem französischen Vizemeister SAL Lyon (71:75) sowie dem Fünften der tschechischen Staatsliga, NHK Ostrau (59:68) musste man sich in eigener Halle
aber geschlagen geben.
Im Januar fand übrigens wieder ein Drei-Nationen-Turnier in Gießen statt. Die CSSR, Holland und
Team Deutschland A (mit
Ampt
und
Geschwindner) sowie Team Deutschland B (mit Dort und Dieter Strack) kämpften in der Doppelturnhalle
um den Turniersieg.
Holger Geschwindner war kurz zuvor bei der erstmals durchgeführten Wahl zum "Basketballer des Jahres" auf dem zweiten Platz gelandet. Geschwindner, der bei den Gießenern nach dem Abgang von Jungnickel zum Topscorer avanciert war, musste bei der Abstimmung
von Fachjournalisten nur Helmut Uhlig
(VfL Osnabrück) den Vortritt lassen.
In der Bundesligarunde blieb der MTV 1846 zu Hause wieder eine Macht. Das letzte Heimspiel hatten die Gießener in der Saison 1964/1965 gegen den USC Heidelberg verloren. Und auch in dieser Spielzeit wurde es nur in der Partie gegen den siebenmaligen Deutschen Meister vom Neckar knapp. Mit 75:72 behielten die Männerturner,
punktemäßig angeführt von
Holger Geschwindner
(22) und
Didi Kienast (18), letztlich die Oberhand. Die übrigen Heimspiele gewann man
mit mindestens 14 Punkten Vorsprung.
Da die Gießener auswärts jedoch zweimal unterlagen (bei Bayern München und im Rückspiel bei GW Frankfurt), blieb das Rennen um den Einzug in die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft lange offen. Nur die jeweils besten zwei Teams aus der Süd- und Nordgruppe erreichten das Halbfinale. In der Südgruppe hatte die Partie des vorletzten Spieltages zwischen dem MTV 1846 und Bayern München vorentscheidende Bedeutung. Vor der mit Spannung erwarteten Begegnung erlebten die 1.100 Zuschauer in der Doppelturnhalle ein Novum. Erstmals trat eine Cheerleadinggruppe vor einem Heimspiel des MTV auf. Die Gattin von MTV-Akteur Bill Provinse hatte den Auftritt der amerikanischen Cheergirls organisiert. Die Darbietungen der Gruppe wurden vom Gießener Publikum mit viel Applaus bedacht. Das Spiel gegen die Münchener Bayern um den ehemaligen MTV-Spieler "Ernie" Butler entschieden die Hausherren dann mit 81:61 (46:33) sicher zu ihren Gunsten. Zum vierten Mal in
Folge hatten sich die 1846er die Südmeisterschaft gesichert.
Die
Spiele der Saison:
In der Vorschlussrunde trafen die Gießener auf den TuS 04 Leverkusen. Im Hinspiel lief für den MTV gegen das "Team der Zukunft" lange Zeit nur wenig zusammen. In der 36. Minute lagen die Gastgeber mit 44:48 im Hintertreffen. Ein furioser Endspurt sorgte dann dafür, dass am Ende doch noch ein stattlicher 65:51-Erfolg zu Buche stand. Im Rückspiel reichte den Mittelhessen eine 57:60-Niederlage
zum Einzug ins Finale.
Austragungsort des Endspiels war die neu gebaute Universitätssporthalle in Gießen. Der Endspielgegner hieß - wie hätte es auch anders sein können - VfL Osnabrück! Und endlich, im 4. MTV/VfL-Finale innerhalb von fünf Jahren, glückte den Osnabrückern mit 76:69 (30:30) der erste Endspielerfolg über die
MTVer - gleichbedeutend der 1. Deutsche Meistertitel für den VfL.
Zwei Monate später revanchierte sich der MTV im Endspiel um den Deutschen Basketball-Pokal in der Alsterdorfer Sporthalle in Hamburg mit einem hauchdünnen 75:74-Erfolg über den VfL. Sieben Sekunden vor dem Ende erzielte Holger Geschwindner den siegbringenden Korb. Auf dem Weg in das Finale hatte der MTV ausnahmslos Auswärtsspiele zu bestreiten gehabt. Zuvor hatten die MTV-Junioren durch einen 80:69-Erfolg über Osnabrück ihre 4. Deutsche Meisterschaft gewonnen. Dem MTV-Team gehörte unter anderem auch der heutige hessische Innenminister (Stand: Februar 2006) Volker Bouffier an. Die Mannschaft: Weigand, Decker (je 18 Punkte), Dieter Strack, Stock (je 16), Peters (12), Annies, Decken, Bouffier, Lindenstruth, Zielinski, Nauheimer,
Menne. Trainer: Bernd Röder.
Ende November 1968 war es für die Gießener im Europapokal erneut um internationale Ehren gegangen. In der ersten Runde des Landesmeister-Pokals wurde man von dem schwedischen Titelträger Alvik Stockholm auf dem Feld kaum vor nennenswerte Probleme gestellt. Lediglich die Anreise in die schwedische Hauptstadt klappte nicht ganz so reibungslos. Erst geriet man in Frankfurt in einen Bummelstreik, dann wurde die Maschine, die das Team von Kopenhagen nach Stockholm transferieren sollte, aus unerklärlichen Gründen gestrichen. So landeten die Männertunrer erst um 18.50 Uhr, zehn Minuten vor der angesetzten Anwurfzeit, auf dem Stockholmer Flughafen. In Taxis fuhr man dann in die rund 45 Kilometer entfernt liegende Halle, die um ca. 19.45 Uhr erreicht wurde. Glücklicherweise ignorierten die beiden Schiedsrichter aus Finnland und Dändemark das internationale Reglement, in welchem eine Wartezeit von maximal 30 Minuten festgeschrieben war. Unmittelbar nach der Ankunft des Gießener Teams begann die Partie, welche die Gießener am Ende mit 61:60 gewannen. Im Rückspiel spielte man die Skandinavier beim
88:62 (Geschwindner 33) dann regelrecht an die Wand.
In der 2. Runde traf man auf den 4-fachen Cupgewinner Real Madrid. Die spanischen Profis um Lyuk, Paniauga, Rodriguez und Guargiola gewannen das Hinspiel vor 1.600 Zuschauern in der Universitätssporthalle mit 97:81, wurden von den Teilzeit-Basketballern aus Gießen dabei jedoch bis zum letzten gefordert. Denn als der Deutsche Meister in der ersten Halbzeit mit 26:25 in Führung lag, mussten die "Königlichen"
schon ihr ganzes Können aufbieten, um eine Niederlage abzuwenden.
Im Rückspiel setzte es vor ungefähr 2.500 Zuschauern in der Bernabeu-Halle zu Madrid eine 71:102 (35:51)-Niederlage für den MTV. Da war es für MTV-Manager Heinz-Ewald Hirsch nur ein schwacher Trost, dass ihn Real-Präsident Santiago Bernabeu höchst persönlich auf einen Cognac in die Ehrenloge
einlud.
Bundesliga Gruppe Süd / Hauptrunde (zehn Teams, die besten Zwei erreichten das Halbfinale; Heimspielort: Doppelturnhalle der Liebigschule):
05.10.68 MTV 1846 Gießen
- Eintracht Frankfurt 84:62 (46:20)
12.10.68 TV 46 Heidelberg - MTV 1846 Gießen 60:75 (29:38)
19.10.68 MTV 1846 Gießen - USC Heidelberg 75:72 (34:36)
26.10.68 USC Mainz - MTV 1846 Gießen 66:72 (27:40)
09.11.68 MTV 1846 Gießen - GW Frankfurt 85:71 (45:24)
16.11.68 USC München - MTV 1846 Gießen 67:78 (38:40)
23.11.68 MTV 1846 Gießen - TG Würzburg 92:47 (40:18)
01.12.68 Bayern München - MTV 1846 Gießen 93:86 (39:51)
14.12.68 MTV 1846 Gießen - BC Darmstadt 108:56 (50:25)
21.12.68 Eintracht Frankfurt - MTV 1846 Gießen 74:92 (33:47)
11.01.69 MTV 1846 Gießen - TV 46 Heidelberg 78:54 (30:30)
18.01.69 USC Heidelberg - MTV 1846 Gießen 72:93 (33:55)
25.01.69 MTV 1846 Gießen - USC Mainz 82:62 (38:25)
08.02.69 GW Frankfurt - MTV 1846 Gießen 71:69 (32:36)
22.02.69 MTV 1846 Gießen - USC München 79:61 (36:22)
08.03.69 TG Würzburg - MTV 1846 Gießen 48:88 (21:43)
15.03.69 MTV 1846 Gießen - Bayern München 81:61 (46:33)
22.03.69 BC Darmstadt - MTV 1846 Gießen 82:102 (37:61)
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Abschlusstabelle:
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1 MTV 1846 Gießen 32:4 Punkte + 340 Körbe
2 GW Frankfurt 30:6 Punkte + 278 Körbe
3 FC Bayern München 28:8 Punkte + 183 Körbe
4 USC Heidelberg 26:10 Punkte + 176 Körbe
5 USC Mainz 22:14 Punkte + 117 Körbe
6 Eintr. Frankfurt 14:22 Punkte - 113 Körbe
7 TV 46 Heidelberg 11:25 Punkte - 27 Körbe
8 USC München 9:27 Punkte - 128 Körbe
9 BC Darmstadt 7:29 Punkte - 314 Körbe
10 TB Würzburg 1:35 Punkte - 512 Körbe
Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft:
29.03.69 MTV 1846 Gießen (1. Süd)
- TuS 04 Leverkusen (2. Nord/Hin) 65:51 (32:30)
12.04.69 TuS 04 Leverkusen - MTV 1846 Gießen (Rück) 60:57 (23:21)
Finale um die Deutsche Meisterschaft (in der Gießener Universitäts-Sporthalle, 1.600 Zuschauer):
20.04.69 MTV 1846 Gießen - VfL Osnabrück
69:76 (30:30)
Punkteverteilung MTV 1846:
Geschwindner
26,
Kienast
17, Provinse 13,
Ampt
11, Dort 2.
Deutscher Meister 1968/1969:
VfL Osnabrück
Europapokal der Landesmeister:
1. Runde:
21.11.68 Alvik Stockholm - MTV 1846 Gießen 60:61 (28:39)
26.11.68 MTV 1846 Gießen - Alvik Stockholm 88:62 (40:31), 1.100 Zuschauer
2. Runde (Achtelfinale):
19.12.68 MTV 1846 Gießen - Real Madrid 81:97 (33:47), 1.400 Zuschauer
09.01.69 Real Madrid - MTV 1846 Gießen 102:71 (51:35), 2.500 Zuschauer
Deutscher Pokalwettbewerb:
1. Runde (26.04.69): SC Rei Koblenz - MTV 1846
Gießen 60:79 (28:43)
2. Runde (03.05.69): BC Darmstadt - MTV 1846 Gießen 54:82 (23:28)
Viertelfinale (30.05.69): Bayern München (Cupverteidiger) - MTV 1846 Gießen 66:70 (37:37)
Halbfinale (07.06.69): ATV 77 Düsseldorf - MTV 1846 Gießen 72:75 (32:39)
Finale (15.06.69, in der Sporthalle Hamburg-Alsterdorf, 800 Zuschauer):
VfL Osnabrück - MTV 1846 Gießen 74:75 (38:40)
Deutscher Pokalsieger 1968/1969:
MTV 1846 Gießen: