30. April 1972: Die Sporthalle Ost platzt aus allen Nähten. 4.000 (!) Besucher geraten beim zweiten Finalspiel um die Deutsche Meisterschaft zwischen dem MTV 1846 und dem Gast aus Leverkusen schier aus dem Häuschen, als der MTV kurz vor Schluss mit 63:58 in Führung geht und damit die Fünf-Punkte-Niederlage aus dem Hinspiel egalisiert - am Ende sollte es für die Gießener aber leider nicht zum Gewinn der 4. Deutschen Meisterschaft reichen.
Mit Beginn der Saison 71/72 hatte sich im bundesdeutschen Basketball einiges geändert. Die beiden Bundesligen Nord und Süd spielten statt mit zehn jetzt nur noch mit jeweils acht Vereinen. Die Zeiten, in denen ein zweimaliges Training pro Woche ausreichte, um sich in der obersten Spielklasse zu behaupten, waren vorüber. Jetzt mussten sich die Spitzenmannschaften fast schon täglich mit dem Basketball-Einmaleins beschäftigen, um bei der Meisterschaftsvergabe ein Wörtchen mitreden zu können. Hinzu kam noch, dass sich nun auch im Basketball die guten Spieler immer öfter nach dem Geldbeutel der Vereine orientierten. Eine breite Nachwuchsförderung bedeutete somit nicht unbedingt eine Garantie für die Erhaltung einer spielstarken Seniorenmannschaft, da auch oft schon die jungen Talente ihre Vereine aus finanziellen
Gründen verließen bzw. auswählten.
Auf die Nachwuchshochburg Gießen hatten diese Entwicklungen (noch) keinen Einfluss. Damals Um die Routiniers Bernd Röder, Klaus Jungnickel und Dr. Klaus Urmitzer waren im Laufe der Jahre mit den aus der eigenen Jugend stammenden Karl Ampt, Hans Heß, Roland Peters, Henner Weigand, Günther Lindenstruth und Dieter Strack Spieler in die erste Mannschaft gerückt, die in der Bundesliga mithalten konnten und - wie im Falle von Ampt, Heß und Peters - sogar vor dem Sprung ins Nationalteam standen. Mit Eberhard Bauernfeind war ein weiteres Talent aus der eigenen Jugend zur "Ersten" gestoßen. Und mit den von Eintracht Frankfurt gekommenem Trio Ron Davis, Michael Breitbach und Klaus Gentzen schickte der MTV 1846 eine Mannschaft ins Rennen, die sich berechtigte Hoffnungen machen durfte, den im Vorjahr erstmals abgegebenen Titel des Südmeisters wieder
zurückzugewinnen.
Und so kam es dann auch: Nach Abschluss der Hauptrunde hatte der MTV (26:2 Punkte) mit einem Neun-Punkte-Vorsprung vor den punktgleichen Teams aus München, Heidelberg und Bamberg (alle 17:11) seine 6. Südmeisterschaft errungen. Richtig freuen konnte man sich darüber jedoch nicht, denn Basketball-Gießen war am drittletzten Vorrundenspieltag (19. Januar 1972) in einen Schockzustand versetzt worden. Auf der Heimfahrt vom Auswärtsspiel in Heidelberg (seinerzeit war es nicht unüblich, dass die Spieler mit ihrem Privat-Pkw zu den Spielen fuhren) erlitt "Pollo" Urmitzer bei einem Autounfall schwere Verletzungen, die einen dreimonatigen Krankenhausaufenthalt nach sich zogen. Die beiden Mitinsassen Hans Heß und Günther Lindenstruth kamen mit leichteren Verletzungen davon und waren am 11. Februar in einem Vorbereitungsspiel auf die eine Woche später beginnende Endrunde gegen Hagen schon wieder dabei. Ungewiss war jedoch, ob "Pollo" Urmitzer noch einmal zum Basketballsport
zurückkehren würde.
Trotz des Umstandes, dass man in Urmitzer einen Leistungsträger verloren hatte, landete der MTV 1846 in seiner Endrundengruppe mit dem VfL Osnabrück, dem USC Heidelberg und dem Berliner SV 92 mit fünf Siegen und einer Niederlage vor Osnbarück (8:4 Punkte) auf einem sicheren ersten Platz. Im Halbfinale traf man auf den USC München. Die Mannschaft um die vier Ex-Gießener Belik, Decker, Jekeli und Geschwindner musste die Überlegenheit des Gießener Teams schon im Hinspiel in der bayerischen Hauptstadt anerkennen. Dem 83:79-Coup beim USC ließen die Gießener eine Woche später vor 3.600 begeisterten Zuschauern in der Sporthalle Ost einen 90:76-Sieg folgen - der Einzug in das Finale
war nach nur einjähriger Pause wieder geschafft!
Endspielgegner der "Männerturner" war der TuS 04 Leverkusen, Meister der Jahre 70 und 71. Eine beeindruckende Vorstellung im ersten Finalspiel beim Favoriten, das aus MTV-Sicht lediglich mit 75:80 verloren ging, sorgte dafür, dass die Osthalle beim zweiten Finalspiel aus allen Nähten platzte. Eine unglaublich anmutende Menge von 4.000 Zuschauern (bis zum heutigen Tag Zuschauerrekord) erlebte am 29. April eng aneinander gequetscht ein an Spannung kaum zu überbietendes Rückspiel. Nach einem 33:37-Rückstand zur Pause drehte der MTV in der zweiten Hälfte auf. Angetrieben von Hansi Heß (22 Punkte) erspielten sich die Gießener in der 36. Minute eine 63:58-Führung. Die Osthalle glich einem Tollhaus. Am Ende reichte es jedoch nicht zum Gewinn der 4. Deutschen Meisterschaft. Die Gäste erzielten zwei Minuten vor dem Ende den Ausgleich
und durften durch einen 70:67-Erfolg letztlich ihren dritten Meistertitel bejubeln.
(Text teilweise entnommen aus dem Buch "Die MTV-Story" von G. Raschke)
Bundesliga / Hauptrunde Gruppe Süd (acht Teams, die besten Vier erreichten die Endrunde; Heimspielort: Sporthalle Ost):
23.10. BC Darmstadt - MTV 1846 Gießen
57:123 (29:66)
30.10. 1. FC Bamberg - MTV 1846 Gießen 72:64 (36:30)
06.11. MTV 1846 Gießen - USC Mainz 92:59 (33:33), Zusch.: 700
13.11. MTV 1846 Gießen - Bayern München 104:77 (48:40), Z.: 900
16.11. MTV 1846 Gießen - USC Heidelberg 74:64 (38:36), Z.: 1.100
20.11. SV Möhringen - MTV 1846 Gießen 79:90 (42:41)
27.11. MTV 1846 Gießen - USC München 58:55 (26:31), Z.: 2.800
11.12. USC Mainz - MTV 1846 Gießen 90:110 (43:39)
18.12. MTV 1846 Gießen - BC Darmstadt 139:59 (64:35), Z.: 500
08.01. MTV 1846 Gießen - 1. FC Bamberg 107:74 (55:38), Z.: 1.300
15.01. Bayern München - MTV 1846 Gießen 78:80 (31:42)
19.01. USC Heidelberg - MTV 1846 Gießen 76:80 (45:36)
22.01. MTV 1846 Gießen - SV Möhringen 132:78 (67:32), Z.: 600
29.01. USC München - MTV 1846 Gießen 87:95 (48:49)
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Abschlusstabelle Gruppe Süd:
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1 MTV 1846 Gießen 26:2 Punkte
2 USC München 17:11 Punkte
3 USC Heidelberg 17:11 Punkte
4 1. FC Bamberg 17:11 Punkte
5 FC Bayern München 14:14 Punkte
6 USC Mainz 14:14 Punkte
7 SV Möhringen 7:21 Punkte
8 BC Darmstadt 0:28 Punkte
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Abschlusstabelle Gruppe Nord:
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1 TuS 04 Leverkusen 27:1 Punkte
2 VfL Osnabrück 23:5 Punkte
3 SSV Hagen 15:13 Punkte
4 BSV Berlin 14:14 Punkte
5 MTV Wolfenbüttel 10:18 Punkte
6 Hamburger TB 9:19 Punkte
7 SGN Essen 9:19 Punkte
8 ASV Köln 4:24 Punkte
Endrunde / Gruppe 1 (vier Mannschaften; je zwei aus Nord und Süd; die besten Zwei erreichten das Halbfinale):
19.02. MTV 1846 Gießen - BSV 92
Berlin 108:61 (48:35), Z.: 1.500
26.02. MTV 1846 Gießen - USC Heidelberg 75:66 (28:32), Z.: 2.700
04.03. VfL Osnabrück - MTV 1846 Gießen 79:90 (45:38)
11.03. MTV 1846 Gießen - VfL Osnabrück 68:72 (34:37), Z.: 3.000
18.03. USC Heidelberg - MTV 1846 Gießen 83:88 (36:47)
25.03. BSV 92 Berlin - MTV 1846 Gießen 66:102 (35:58)
Endstand: 1. Gießen
10:2, 2. Osnabrück 8:4
Halbfinale (Hin- und Rückspiel):
08.04. USC München - MTV 1846 Gießen
79:83 (41:44)
15.04. MTV 1846 Gießen - USC München 90:76 (41:35), Z.: 3.600
Finale (Hin- und Rückspiel):
26.04. TuS
04 Leverkusen - MTV 1846 Gießen 80:75 (38:34)
29.04. MTV 1846 Gießen - TuS 04 Leverkusen 67:70 (33:37), Zuschauer: 4.000
Deutscher Meister 1971/1972:
TuS 04 Leverkusen