Als großer Favorit auf den Gewinn der Deutschen Meisterschaft wurde vor dem Saisonstart der TuS 04 Leverkusen gehandelt, der auf nationaler Ebene seit mehr als einem Jahr
unbesiegt geblieben war.
Kaum auf der Meisterschafts-Rechnung hatten die Experten den MTV aus Gießen, der zu Beginn des neuen Basketballjahrzehnts einige namhafte Abgänge verkraften musste. Coach Laszlo Lakfalvi und die Spieler Holger Geschwindner, Ekkehardt Jekeli und Jochen Decker hatten den MTV 1846 vom einen auf den anderen Tag verlassen und waren zum USC München gewechselt. Auf Empfehlung des damaligen Bundestrainers Dr. Miloslav Kriz übernahm der 38-jährige Tscheche Mita Ozarczuk das Training bei den Gießenern. Ozarczuk
hatte vorher beim tschechischen Klub Dukla Prag gecoacht.
Vor allem der Verlust des offensivstarken Nationalspielers Holger Geschwindner schmerzte. Der plötzliche Gesinnungswandel Jekelis, der für den MTV 1846 bereits in einigen DBB-Pokalspielen sein großes Können gezeigt hatte, kam in
Gießen verständlicherweise nicht sehr gut an. Der
Gießener Anzeiger (GA)
sprach von einem
"empörenden Wechsel", nachdem sich die MTV-Verantwortlichen beruflich wie privat bestens um den Spieler
gekümmert hätten. Der
GA erinnerte an das Beispiel des im Dezember
1963 nach Gießen gekommenen DDR-Auswahlspielers
Helmut Uhlig, der dem MTV Gießen nach einem einmaligen Gastspiel (beim 102:60-Sieg gegen eine amerikanische Armee-Auswahl) ebenfalls den Rücken gekehrt hatte.
So kam es am 5. Spieltag beim Heimspiel gegen den USC München denn auch zu unschönen Szenen in der Osthalle. Die 2.500 Zuschauer pfiffen die USC-Spieler fast während der gesamten Partie gnadenlos aus. Durch die nicht gerade zimperliche Gangart der Gäste zog sich Karl Ampt unter Einwirkung des Gegners eine schwere Knieverletzung zu. Die Stimmung erreichte den Siedepunkt, als der Münchener Spieler Reiter ein Revanchefoul beging und wegen einer Tätlichkeit disqualifiziert wurde. Zuvor hatte der USC-Akteur Dieter dem Gießener Kapitän Bernd Röder einen Schlag ins Gesicht verpasst und die Atmosphäre vollends vergiftet – sogar Bierbüchsen flogen auf das Feld. Als am Ende der 85:81-Sieg der Gießener feststand, schlug sich der ganze Groll in grenzenlosen Ovationen für die heimischen
Spieler nieder.
Nachdem die Männerturner mit 14:0 Punkten in die Saison gestartet waren, setzte es bei der 71:84-Heimniederlage gegen Bayern München den ersten Dämpfer. Auf der Tribüne erlebte der frisch von seinem Einsatz in Vietnam zurückgekehrte Bill Provinse, der eine Woche später sein Comeback im MTV-Trikot feierte, zusammen mit 1.700
Zuschauern das Ende einer imposanten Serie mit: Seit 1966 (!) waren die
Gießener in Punktspielen zu Hause unbesiegt geblieben. Trotz des Sieges in der Osthalle war es für die Münchener eine schicksalsträchtige Saison: Der US-Amerikaner, mit dem die Bayern die Spielzeit in Angriff nehmen wollten, ertrank noch vor dem Saisonstart beim Baden in einem See. Der danach verpflichtete US-Amerikaner Thornton musste sich im Verlaufe der Saison in einem Mordprozess verantworten und fehlte
den Bayern infolgedessen über weite Strecken der Spielzeit.
In der Rückrunde erlebten die Gießener Basketballer eine Schrecksekunde. Nachdem er unter dem gegnerischen Korb heftig attackiert worden war, stürzte
Nationalspieler
Urmitzer beim 112:61-Auswärtssieg des MTV in Eppelheim in eine Glastür und zog sich dabei Schnittwunden im Gesicht und am Arm zu. Glücklicherweise stellten sich die Verletzungen als nicht ganz so schlimm wie anfangs befürchtet heraus. Schon im nächsten Heimspiel gegen den 1. FC Bamberg stand der "Pollo" wieder auf dem Feld und war mit 17 Punkten maßgeblich am 92:59-Heimsieg gegen den Liga-Neuling aus dem Frankenland beteiligt. Einen ausführlichen Artikel zu den beiden ersten Bundesliga-Aufeinandertreffen der heutigen Traditionsteams
Gießen und Bamberg gibt es in dem Magic zu lesen.
Bis zum Hauptrundenende waren die Gießener im Kampf um den ersten Platz in der Südgruppe involviert. Die beiden Auswärtsniederlagen beim USC München (14. Spieltag, 80:97) und bei 1860 München (16. Spieltag, 96:98) führten letztlich aber dazu, dass der MTV im Süden zum ersten
Mal in der Bundesligageschichte mit Platz 2 vorlieb nehmen musste.
In der Endrunde mussten die Gießener in ihrem ersten Spiel eine vor allem in der Höhe überraschende 62:87-Niederlage beim Nord-3. SSV Hagen einstecken. Nach einer weiteren Niederlage (63:73) beim amtierenden Meister in Leverkusen sanken die Chancen auf das Erreichen des Endspieles beträchtlich nach unten.
Am vierten Spieltag empfing der MTV die Rheinländer dann zum Rückspiel in der Osthalle. 3.000 Zuschauer waren aus dem Häuschen, als der 80:69-Sieg. Nach der Hauptrunden-Niederlage gegen Wolfenbüttel hatten sich die Leverkusener auf nationaler Ebene damit zum zweiten Mal in dieser Saison geschlagen geben müssen.
"MTV erschoß nach grandiosem Spiel die Wundermannschaft aus Leverkusen ",
titelte der
Gießener Anzeiger nach dem Sieg, durch den sich die 1846er auch den direkten Vergleich gegen die Hagedorn-Truppe sicherten und eine kleine Final-Chance wahrten. Die Hoffnungen auf eine weitere Leverkusener Niederlage erfüllten sich jedoch nicht, so dass das Endspiel um die Deutsche Basketballmeisterschaft
erstmals seit 1965 ohne Beteiligung des MTV 1846 ausgetragen wurde.
Immerhin, durch die beiden abschließenden Siege in München und zu Hause gegen Hagen erreichte der MTV die Spiele um den 3. Platz, in dem man auf den alten Rivalen USC Heidelberg traf. Beim 99:92-Sieg im ersten Spiel ließen sich die Männerturner auch von der etwas einseitigen Pfeifferei der beiden Schiedsrichter nicht aus dem Konzept bringen, die in den ersten zehn Minuten sage und schreibe 18 (!) Fouls des MTV-Teams gesehen haben wollten. Beim abschließenden 96:91-Sieg vor
1.500 Fans in Gießen (gleichzeitig das Abschiedsspiel von
"Didi" Kienast, der seine aktive Zeit beendete) wurden die Spieler mit Blumen, Sprechchören und einer Ehrenrunde in die verdiente Sommerpause verabschiedet. Der Gießener
Basketballanhang wusste die gezeigte Leistung seines Teams zu würdigen.
Leverkusen triumphierte in den beiden Endspielen gegen den USC München und holte sich
zum zweiten Mal in Folge die Deutscher Meisterschaft.
Über
die Saison gesehen hatte
Karl Ampt die meisten Punkte in einem Spiel für das MTV-Team erzielt. Im Rückspiel um den 3. DM-Platz gegen Heidelberg kam der Flügelspieler auf 35 Punkte, im letzten Endrundenspiel gegen Hagen steuerte er 34 Zähler bei. Danach folgten
"Pollo" Urmitzer
(33 im Heimspiel gegen 1860 München) und
Klaus Jungnickel (31 im Heimspiel gegen den USC München und im Auswärtsspiel
bei 1860).
Im Endspiel um die Deutsche Junioren-Basketballmeisterschaft unterlag die Mannschaft des MTV 1846 dem Hamburger TB mit 70:71. Der MTV-Juniorenkader: Dieter Krausch, Bürschgens, Knittel, Mathias Krausch, Ulrich Strack, Lindenstruth,
Decken, Annies, Hoppe, Lämmler, Knapp, Walter; Trainer: Dietfried Kienast.
Bundesliga Gruppe Süd / Hauptrunde (zehn Teams, die besten Vier erreichten die Endrunde; Heimspielort: Sporthalle Ost):
26.09.70 MTV 1846 Gießen -
Rei Koblenz 87:62 (46:29)
03.10.70 USC Mainz - MTV 1846 Gießen 71: 87 (33:39)
10.10.70 MTV 1846 Gießen - EK 1847 Eppelheim 106:42 (57:18)
17.10.70 1. FC Bamberg - MTV 1846 Gießen 71:81 (31:27)
24.10.70 MTV 1846 Gießen - USC München 85:81 (50:29)
27.10.70 GW Frankfurt - MTV 1846 Gießen 73:78 (40:40)
07.11.70 MTV 1846 Gießen - 1860 München 111:84 (52:38)
14.11.70 MTV 1846 Gießen - Bayern München 71:84 (27:35)
21.11.70 USC Heidelberg - MTV 1846 Gießen 91:76 (39:40)
28.11.70 Rei Koblenz - MTV 1846 Gießen 62:96 (30:47)
09.01.71 MTV 1846 Gießen - USC Mainz 99:75 (51:42)
16.01.71 EK 1847 Eppelheim - MTV 1846 Gießen 61:112 (38:46)
23.01.71 MTV 1846 Gießen - 1. FC Bamberg 92:59 (42:34)
06.02.71 USC München - MTV 1846 Gießen 97:80 (50:45)
09.02.71 MTV 1846 Gießen - GW Frankfurt 76:72 (44:35)
13.02.71 1860 München - MTV 1846 Gießen 98:96 (45:54)
27.02.71 Bayern München - MTV 1846 Gießen 70:83 (32:43)
06.03.71 MTV 1846 Gießen - USC Heidelberg 102:91 (60:48)
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Abschlusstabelle:
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1 USC München 30:6 Punkte + 338 Körbe
2 MTV 1846 Gießen 28:8 Punkte + 277 Körbe
3 USC Heidelberg 24:12 Punkte + 148 Körbe
4 FC Bayern München 22:14 Punkte + 5 Körbe
5 1. FC Bamberg 20:16 Punkte + 43 Körbe
6 GW Frankfurt 18:18 Punkte + 66 Körbe
7 USC Mainz 16:20 Punkte + 29 Körbe
8 TSV 1860 München 14:22 Punkte - 108 Körbe
9 SC Rei Koblenz 4:32 Punkte - 334 Körbe
10 EK 1847 Eppelheim 2:34 Punkte - 464 Körbe
Endrunde / Gruppe A (vier Teams; je zwei aus Nord und Süd; der Erste erreichte das Finale, der Zweite das Spiel um Platz 3):
13.03.71 SSV Hagen - MTV 1846 Gießen
87:62 (39:30)
17.03.71 MTV 1846 Gießen - Bayern München 85:71 (46:29)
20.03.71 TuS 04 Leverkusen - MTV 1846 Gießen 73:63 (27:26)
27.03.71 MTV 1846 Gießen - TuS 04 Leverkusen 80:69 (34:32)
30.03.71 Bayern München - MTV 1846 Gießen 65:66 (27:35)
03.04.71 MTV 1846 Gießen - SSV Hagen 89:76 (44:40)
Endstand: 1. Leverkusen 10:2, 2. Gießen 8:4
Um Platz 3:
11.04.71 USC Heidelberg - MTV 1846 Gießen 92:99 (55:55)
18.04.71 MTV 1846 Gießen - USC Heidelberg 96:91 (48:48)
Deutscher Meister 1970/1971:
TuS 04 Leverkusen
Deutscher Pokalwettbewerb (DBB-Pokal):
1. Runde (24.04.71): SV Cuxhaven - MTV 1846 Gießen
32:75 (21:42)
Viertelfinale: USC Mainz - MTV 1846 Gießen 69:60
Deutscher Pokalsieger 1970/1971:
TuS 04 Leverkusen